Philosophie

Heißt Freisein Einsamsein? – Religionsphilosophische Reflexionen zum postmodernen Single-Dasein im Anschluss an Edith Stein

Dr. phil. Beate Beckmann · 
01.01.2002

Edith Steins Reflexionen zum Thema „Freiheit“ und „Bindung“ treffen den Nerv der postmodernen Diskussion, in der der theoretische Begriff und das lebensweltliche Phänomen „Freiheit“ als Synonym von „Beliebigkeit“ mißverstanden zu werden scheinen. Anhand des Phänomens der zunehmenden Bindungslosigkeit in unserer Gesellschaft soll mit Edith Stein gefragt werden, wann man frei ist und ob Freiheit in diesem Fall den Verlust von Geborgenheit im Sinne von Einsamkeit nach sich ziehen muss. Als Hintergrundfolie, um das Wesen von Freiheit zu verstehen, wird Edith Steins jüdisch-christliches Verständnis von Bund zwischen Gott und Mensch verwendet und abgegrenzt von der Folie eines buddhistischen Freiheitsverständnis, das in der Postmoderne eine zunehmend prägende Rolle einnimmt. Stein siedelt das „Reich der Freiheit“ in der Seele des Menschen an als einen Punkt der „aktiven Aktivität“, der gegenüber sowohl das „Reich der Natur“ als auch das „Reich der Gnade“ jeweils als passive Aktivität bzw. aktive Passivität bezeichnet werden können. An diesem Punkt werden Entscheidungen getroffen oder verweigert, aus denen Konsequenzen für das Sein zur Welt als auch zum Anderen folgen.

Freiheit und die Entgrenzungs-Erfahrungen der Postmoderne

„Man müsste frei sein, um befreit sein zu können. Man müsste sich in der Hand haben, um sich loslassen zu können.“[1] „Freiheit“ im Sinne der praktischen Philosophie ist ein Thema, das Edith Stein im Zusammenhang mit ihrer Konversion zum christlichen Glauben sowohl theoretisch (in ihrer religionsphilosophischen Untersuchung Natur, Freiheit, Gnade) als auch biographisch bedingt im Sommer 1921 beschäftigte. „Freiheit” wurde und wird im philosophischen wie auch lebensweltlichen Sinne verstanden als ein Schritt heraus aus Abhängigkeiten und aus erstarrten Konventionen, hinein in Mündigkeit und Selbstbestimmtheit. In der Zeit um die Jahrtausendwende, die auch als Postmoderne etikettiert wird, scheint es, als würde das Phänomen „Freiheit“ theoretisch wie auch lebenspraktisch mit Beliebigkeit, Unverbindlichkeit und Bindungslosigkeit gleichgesetzt werden. Dadurch dass sich in einer zunehmend liberalen Gesellschaft kein eindeutiger Wertekonsens ausmachen lässt, herrscht Verunsicherung vor, wie Freiheit sinnvoll gelebt werden kann. Die postmoderne Lebensform des Single, der für alle Möglichkeiten offen und damit autonom und im Höchstmaß frei zu sein scheint, lässt neu die Frage nach dem Wert von Bindung und Verbindlichkeit aufkommen.[2]Schließen sich letztlich die Werte „Freiheit“ und „Bindung“ aus, bedingen einander nicht vielmehr „Freiheit“ und „Einsamkeit“?
An der Postmoderne wirkt positiv bestechend der Mut zu Neuem, zu neuen Denk- und auch Lebensformen. Vom Begriff „Postmoderne“ her wird zunächst suggeriert, dass wir nach der Moderne leben, sie somit hinter uns lassen. Zusammen mit der Moderne verabschieden wir die unbegrenzt geglaubte Rationalität der Aufklärung, die Totalität von utopischen Politikentwürfen, die Absolutheit von Antworten der „großen Erzählungen“ (Lyotard) – worunter auch das Christentum subsummiert wird -, aber auch eine herkömmliche Konzeption von Freiheit. Was von der Postmoderne der Moderne entgegengesetzt wird, ist der Wert des Differenten, eine andere Form von Rationalität, die das Partikulare betont. Fragmentarisches darf scheinbar „ent-spannt“ nebeneinander bestehen, ohne verabsolutiert zu werden und ohne Anlass zu bieten, dass sich die Vertreter verschiedener Überzeugungen gegenseitig bekämpfen müssten.

Man ist als Christ leicht versucht, die Postmoderne von ihrer Negativität her zu lesen, und meint, man müsse Partei für die Moderne und ihre Rationalitätsform, statt Partei für Christus und sein Evangelium ergreifen.[3] Das Christentum lässt sich allerdings nicht schlechthin identisch setzen mit der Moderne, der Vormoderne oder mit irgendeiner anderen Epoche oder auch Kultur. Vielmehr hat jede Zeit und jeder kulturelle Raum eine gewisse Empfänglichkeit für und eine je eigene Widerständigkeit gegen die „Botschaft“ des christlichen Glaubens. Die Offenheit der postmodernen Menschen richtet sich auf Informationen, die gerne „angeklickt“ werden; ob sie allerdings im Leben umgesetzt werden, hängt von prägenden persönlichen Beziehungen, weniger von rationalen Argumenten ab. Damit wird es wichtig, über das Freiheits-Verständnis und frei-lassende Lebens- und Beziehungsformen nachzudenken, in denen sich die christliche Botschaft transportieren lässt. Die positive Einladung, die ihrerseits die Postmoderne bietet, richtet sich auf eine neue Kreativität und Kontextualität in der Begegnung zwischen Menschen, Institutionen, Kulturen und Religionen, die in freilassender gewaltloser, allerdings zur Unverbindlichkeit neigender Haltung sich zu vollziehen pflegt. So lassen sich für den Kontext des postmodernen Single-Daseins klärend Steins religionsphilosophische Überlegungen zum Freiheitsbegriff neu lesen, wie im folgenden gezeigt werden soll. Zunächst soll dazu das Paradigma der Postmoderne näher in den Blick genommen werden.

Das Projekt der Postmoderne beschäftigt sich damit, den Umgang mit „Ent-Grenzungen“ zu erlernen, die als die postmoderne Form von Freiheit verstanden werden können. Historisch haben wir in Deutschland eine „Ent-Grenzung“ im Herbst 1989 erlebt: Mit dem Fall der innerdeutschen Mauer und des „Eisernen Vorhangs“ zwischen West- und Ost-Europa verabschiedeten sich ebenfalls ideologische Denk-Begrenzungen. „Grenz-Fälle“ bringen auf zwiespältige Weise neben erleichterter Freude und Freiheitserfahrung auch die Mühe der Umorientierung mit sich, die Forderung nach Durchhaltevermögen und nach aktivem Beziehungsaufbau.

Ent-Grenzungserfahrungen machte Edith Stein, die zu diesem Thema befragt werden soll, lebensweltlich an der Grenze, die Frauen im Bereich der Wissenschaft gesetzt waren: Es war ihr möglich, als wissenschaftliche (Privat- )Assistentin Edmund Husserls zu arbeiten, wenn auch die Grenze zur Habilitation für sie aus zeitgeschichtlich- gesellschaftlichen Gründen unüberschreitbar blieb. Sie erlebte dafür persönlich die Ent-Grenzung vom bewusstseinsimmanenten hin zum metaphysik-offenen Philosophieren durch die Begegnung mit der christlichen Denk- und Glaubenswelt. Damit überschritt sie die Grenze des rational Ausweisbaren hinein in den Bereich des vertrauenden Schauens, ohne jedoch den ersteren Bereich völlig hinter sich zu lassen.

Auf einer anderen Ebene trägt die radikal gelebte Freiheit des postmodernen Single ebenfalls die Prägung einer Ent-Grenzung: Liebgewordenes wird losgelassen, sei es Heimat, Familie, Freunde, da der postmoderne Single aufgrund der beruflichen Marktorientierung zunehmend mobil und flexibel ist. Die andere Seite des Single-Daseins neben der Freiheit als Ent-Grenzung wird in der Diskussion um die „Generation X“, also der jungen Postmodernen-Generation, als „Aloneliness“ thematisiert: „Generation X“ ist also nicht nur „alone“, „allein“ im neutralen Sinne im Gegensatz zu „in meiner Familie, bei meinen Freunden“ und damit autonom,

sondern auch „lonely“ im Sinne von „einsam“, ob unter Menschen oder nicht.[4] Hieraus ergibt sich die Fragestellung, die an Steins philosophische Überlegungen herangetragen werden soll: Ist es prinzipiell so, daß Freisein als ein Abstreifen von Abhängigkeit und als eine Ent-Grenzung immer auch den Verlust von Geborgenheit und damit Einsamsein im Sinne der „aloneliness“ bedeutet, bzw. bedeuten muss?

Exkurs: Die konkurrierenden Sinnentwürfe Buddhismus und Judentum/Christentum

Wenn Stein über das Gebiet „Freiheit“ befragt werden soll, muss mitbedacht werden, dass ihr jüdisch-christlicher Bezugsrahmen nicht der einzige ist, den man in der Postmoderne zu konsultieren pflegt. Es gibt verschiedene Sinnhintergründe, die in der Postmoderne miteinander konkurrieren, allen voran der Buddhismus, zumeist in der Verbrämung durch westliche Intellektuelle. Ram Adher Mall, Präsident der Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, bezeichnet ihn als die „Religion der Postmoderne“[5]: Der Buddhismus[6] zeigt den Weg aus dem Leben, das Leiden ist. Dieses Leiden ist nach buddhistischer Auffassung durch Abhängigkeiten verursacht. Freisein von Bindungen ist daher im Buddhismus der Weg zur Freiheit von Leiden. Das Ziel ist die Leidlosigkeit, die erreicht wird durch Aufhören aller Abhängigkeiten und letztlich sogar durch Auslöschung – der Begriff der „Loslösung“ wäre hier zu wenig treffend – des eigenen Ichs, indem man sein Ich als Trug, als Nichts durchschaut. Die Grundlehre des Buddhismus ist, dass das Leben Leiden und nichts als Leiden ist, dass alle Abhängigkeiten und Bindungen Leiden verursachen, und mögen sie noch so positiv erscheinen, dass der Weg zur Erlösung letztlich der Weg heraus aus den Abhängigkeiten im Sinne von „Anhaftungen“ ist. Es geht dem Buddha um eine „Freiheit von“, letztlich um die Freiheit, nicht sein zu müssen, nicht geboren sein zu müssen, und damit unabhängig zu werden sogar von dem eigenen unhintergehbaren Zustand des „Ins-Dasein-Geworfen-Seins“. Auf dem Hintergrund von schmerzlichen Abhängigkeits- und Enttäuschungserfahrungen wird auch die Sehnsucht vieler junger Menschen in Europa verständlich, die einer derart radikalen und doch nicht fremdverpflichtenden buddhistischen Freiheitsperspektive nach-denken und nach-meditieren.

Ganz anders ist die jüdisch-christliche Freiheitsdiskussion zu verstehen, in der auch Stein ihre Gedanken formuliert: Hier heißt der maßgebliche Terminus nicht „Weg des Entkommens“, wie Buddhas „Achtfacher Pfad“ auch genannt wird, sondern „Bundes-Angebot“. Der Bund zwischen Gott und Israel ist das Vorbild und Modell, in dem sich erstens Abhängigkeiten lösen (von der eigenen Begierde nach Dingen, von fremden Übergriffen, im Christentum dann: von der alten Familie zu einer „neuen Familie in Christus“), also eine „Freiheit von“. In diesem Modell ist zweitens eine „Freiheit für“ möglich wird, für Beziehungen und Freundschaften: Freundschaft und Beziehung zu Gott in Jesus Christus und unter den Menschen. Eine freie Beziehung wird als Freundschaft charakterisiert und unterscheidet sich von einer unfreien oder abhängigen Beziehung, also der „Knechtschaft”. Im Johannes-Evangelium formuliert Jesus diese „Freiheits-Beziehung“ so: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe.“ (Joh 15,15)

Innerhalb dieser Vorstellungswelt der Bundes-Theologie und Bundes-Anthropologie, in der die Freiheit des Einzelnen in verbindlicher Gemeinschaft möglich ist, denkt Stein über das Phänomen „Freiheit“ nach. Was ist das Wesen der Freiheit, die für gelungene Beziehungen in Freundschaften, Ehen und Familien notwendig ist? Was ist das Wesen der Freiheit, die auch für die Beziehung zwischen Gott und Mensch Gültigkeit hat?

Freiheit gegenüber Gott und Mensch 

Stein war von dem Wunsch nach tieferem Erfassen von „Wahrheit“ getrieben; erst in der Zeit ihrer Taufvorbereitung beschäftigt sie sich auch mit dem Phänomen Freiheit.[7] Auf ihrer Suche nach Wahrheit, die sie über den Bereich der Philosophie hinaus lebensweltlich auch auf den christlichen Glauben ausdehnte, riet ihr eine Freiburger Katholikin, um den Hl. Geist zu beten.[8] Dass Stein erhört wurde, lässt sich daraus erkennen, dass sie über „innere Erfahrungen“ mit Gott berichtet. Es sind religiöse Erlebnisse, Gotteserfahrungen, die Stein mit Hilfe von Literatur und Zeugnissen von Christen deutet; Erlebnisse, die sie als von Jesus Christus kommend und auf ihn hinweisend erkennt. Sie setzt diese Erkenntnis um, indem sie ihr Leben unter den erlösenden, befreienden Einfluss Jesu Christi stellt, indem sie sich der leiblich-geschichtlichen Institution der Kirche in der Taufe und Firmung anvertraut. Es war für Stein unerlässlich, in ihrer Wahrheitssuche nicht ihre eigene Freiheit aufzugeben, sondern vielmehr das Phänomen der menschlichen Freiheit sogar gegenüber Gott zu erforschen. Um das Wesen von Freiheit verstehen zu können, soll sie in ihrer Höchstform untersucht werden: als Freiheit gegenüber Gott. Dieses Verhältnis lässt sich dann aber auch übertragen auf das Problem zwischenmenschlicher Freiheit.

Freiheit als Entscheidungsfreiheit: Religiöses Erlebnis und freie Entscheidung

Kann also der Mensch frei sein gegenüber Gott und dessen Freiheit? Oder ist der Mensch letztlich in allem vorbestimmt, so dass mit dem Einbruch der göttlichen Gnade die menschliche Individualität nicht mehr aufrechtzuerhalten ist? Für Sartre galt der fatale Zusammenhang: „Wo Gott ist, da kann ich nicht sein.“ Gottes Anspruch würde demnach den Menschen „verkleinern“, wenn nicht gar „vernichten“ zu einem seinsmäßigen und moralischen Nichts. Nietzsche wiederum verdächtigte den Menschen, ähnlich wie Dostojewski im Großinquisitor, dass der Mensch gar nicht frei sein wolle, sondern gerne in der Sklaverei lebe. Daher habe der Mensch all seine Vitalität aus sich herausprojiziert, in eine Gottesvorstellung hinein, vor der er als Sklave leben kann und will. Was ist menschliche Freiheit, wo und wie wird sie gegenüber Gott erfahrbar?

Für Steins Gotteserfahrung, wie wir aus Briefen und phänomenologischen Erwägungen wissen, war neben der intellektuellen Vorbereitung durch die Methode der Phänomenologie das „religiöse Erlebnis“ ausschlaggebend. Darunter versteht sie kein bloßes Gefühl, sondern eine ganzheitliche Erfahrung, die eine Veränderung in ihrem Innern mit existentiellen Folgen hervorrief. Das, was Stein als Fremdes, in sie Einströmendes erlebt hat, führte sie zu einem „Ruhen“ in Gott, wie sie es nennt. So schreibt sie bereits 1918/19 in den „Beiträgen zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften“:

„Es gibt einen Zustand des Ruhens in Gott, der völligen Entspannung aller geistigen Tätigkeit, in dem man keinerlei Pläne macht, keine Entschlüsse faßt und erst recht nicht handelt, sondern alles Künftige dem göttlichen Willen anheimstellt, sich gänzlich ‚dem Schicksal überläßt‘. Dieser Zustand ist mir etwa zuteil geworden, nachdem ein Erlebnis, das meine Kräfte überstieg, meine geistige Lebenskraft völlig aufgezehrt und mich aller Aktivität beraubt hat. Das Ruhen in Gott ist gegenüber dem Versagen der Aktivität aus Mangel an Lebenskraft etwas völlig Neues und Eigenartiges. Jenes war Totenstille. An ihre Stelle tritt nun das Gefühl des Geborgenseins, des aller Sorge und Verantwortung und Verpflichtung zum Handeln Enthobenseins. Und indem ich mich diesem Gefühl hingebe, beginnt nach und nach neues Leben mich zu erfüllen und mich – ohne alle willentliche Anspannung – zu neuer Betätigung zu treiben. Dieser belebende Zustrom erscheint als Ausfluß einer Tätigkeit und einer Kraft, die nicht die meine ist und, ohne an die meine irgendwelche Anforderungen zu stellen, in mir wirksam wird. Einzige Voraussetzung für solche geistige Wiedergeburt scheint eine gewisse Aufnahmefähigkeit zu sein, wie sie in der dem psychischen Mechanismus enthobenen Struktur der Person gründet.“[9]
Es ist nicht die eigene Kraft, aus der heraus die eben noch empfundene Sinnlosigkeit durch einen rationalen Entschluss zu überwinden wäre. Daran lässt sich erkennen, dass es eine göttliche Kraft sein muss, die hier erlebt wird. In den Geist der Person strömt fremde, göttliche Energie ein, theologisch gesprochen der „Heilige Geist“, durch den sich eine Wandlung vollzieht, eine „geistige Wiedergeburt“. Sie lässt sich daran erkennen, dass neue Lebenskraft die innerseelischen Erlebnisse frisch färbt. Wo zuvor Mattigkeit und das Niedergedrückt-Sein von scheinbarer Sinnlosigkeit die Qualität der Erlebnisse bestimmt haben, erscheinen die Welt und das Erleben der Welt nun in neuen bunten Farben.
Einerseits muss eine Offenheit für das Einströmen einer „über-ichlichen“ Macht bestehen, formuliert Stein. Andererseits wird die Person, die ein religiöses Erlebnis hat, daraus nicht notwendigerweise Folgerungen ziehen. Hier setzt jetzt das Problem der Freiheit ein: Die Person hat die Freiheit, den geistigen Mitvollzug nach dem aktuellen Erleben abzubrechen. D.h. er stellt sich nicht „auf den Boden“ des Erlebten, dem er als einzelnes für sich Glauben schenkt, aber er ist nicht bereit, es weiter einzuordnen und Folgen zur existentiellen Lebensumkehrung zu ergreifen: „Oder ein überzeugter Atheist wird in einem religiösen Erlebnis der Existenz Gottes inne. Dem Glauben kann er sich nicht entziehen, aber er stellt sich nicht auf seinen Boden, er läßt ihn nicht in sich wirksam werden, er bleibt unbeirrt bei seiner ‚wissenschaftlichen Weltanschauung‘, die durch den unmodifizierten Glauben über den Haufen geworfen würde.“[10]

Die Freiheit der Person äußert sich darin, dass sie eine freie Anerkennung von Gottes Wirken leisten oder sie auch ablehnen kann. Diese Entscheidung, die die Person frei trifft, ist ein Schritt im Seeleninneren hin zur Verleiblichung einer geistigen Erfahrung: Es ist eine Entscheidung, die zu existenziellen Lebensveränderungen führt. Hier ist die Möglichkeit zur Freiheit in der Entscheidung gegeben. Das „Gemüt“ oder „Herz“ als Schnittstelle zwischen dem Intellekt und dem Willen wägt ab, d.h. es hat nach Stein die Funktion der inneren, lebendigen Zustimmung zum rational Erkannten. Und erst diese freie Herzenszustimmung wird die ausreichende Motivation liefern, um den Willen zu bewegen, eine Umkehrbewegung zu vollziehen, und damit in das Glück und die Beschwernis der Beziehung oder der Bindung einzutreten.[11] Freiheit und eine freie Entscheidung sind somit Voraussetzung für Bindung und für Verlässlichkeit bzw. Verbindlichkeit.

Der Ort der freien Entscheidung: Die „Tiefe der Seele“ oder der „Kern der Person“ 

In der freien Entscheidung vollzieht die Person einen Akt aus dem „Kern der Person“ und der „Tiefe der Seele“ heraus; nicht triebhaft, sondern frei bewegt von einem Motiv, das lebendig gefühlt wird.[12] Das gesamte Sein wird in einem Punkt gesammelt zu freier Entscheidung, die aktiv vollzogen wird. Als Problematik dabei formuliert Stein die Anstrengung der Entscheidung, die immer eine Scheidung von anderen Möglichkeiten ist:

„Darum sind die Entscheidungen Gipfelpunkte im Leben der Person. Es handelt sich aber auch immer dabei um das Sein der Person. Eine Abwägung praktischer Möglichkeiten schließt immer eine Wertbeurteilung in sich: man sucht das ‘Bessere’ zu finden. Das kann heißen: das für die Person selbst Bessere, d.h. ihr Sein Fördernde oder zum mindesten nicht Bedrohende; oder das absolut Bessere, d.h. unangesehen seiner Bedeutung für die wählende Person im Seinsrang Höherstehende, wofür sie evtl. mit ihrer Entscheidung etwas von ihrem Sein zu opfern bereit ist. (Sie wird aber, objektiv und absolut genommen, durch die Entscheidung für das objektiv Bessere um seines objektiven Wertes willen immer gewinnen, weil eine solche Entscheidung selbst eine Seinssteigerung darstellt). In der Scheu vor Entscheidungen, die den meisten Menschen eigen und bei vielen pathologisch gesteigert ist, steckt wohl ein dunkles Wissen darum, daß man damit ‘sein Schicksal schmiedet’; allerdings wird dabei verkannt, daß man dem auf keine Weise entgehen kann, weil man auch mit der Unterlassung und mit dem Ausweichen vor der Entscheidung sein Sein bestimmt. Jede Entscheidung bedeutet also eine Steigerung oder Minderung des Seins. Ist die Entscheidung aber eine Auseinandersetzung mit Gott – und so ist es, wenn ich voll bewußt vor einem göttlichen Gebot stehe und mich dafür oder dawider entscheide – so handelt es sich um Sein oder Nichtsein. … Gegen Gott entscheiden heißt, sich gegen das absolute Sein entscheiden, das alles geschaffene Sein trägt; es heißt also, sich für das Nichtsein entscheiden [sic!] und für die Vernichtung entscheiden.“[13]
Das Entscheidungszentrum in der Tiefe der Seele bildet die Person-Mitte, von der her die Person lebt, ihr Sein gewinnt oder vermindert. In Entscheidungssituationen ist der Mensch sich seiner Freiheit bewusst und an seinem innersten Sein, am tiefsten Punkt seiner Seele angekommen, und damit einsam:
„Der tiefste Punkt ist zugleich der Ort ihrer Freiheit: der Ort, an dem sie ihr ganzes Sein zusammenfassen und darüber entscheiden kann. Freie Entscheidungen von geringerer Tragweite können in gewissem Sinn auch von einem weiter nach außen gelegenen Punkt getroffen werden: aber es sind oberflächliche Entscheidungen: es ist ein Zufall, wenn die Entscheidung sachgemäß ausfällt, denn nur am tiefsten Punkt hat man die Möglichkeit, alles am letzten Maßstab zu messen; und es ist auch keine letztlich freie Entscheidung, denn wer sich selbst nicht ganz in der Hand hat, der kann nicht wahrhaft frei verfügen, sondern läßt sich bestimmen.“[14] Kann sich der Mensch selbst so sehr in der Hand haben, dass er frei bestimmen kann, ohne sich bestimmen zu lassen?

Die Freiheit des Menschen zwischen Natur und Gnade 

Der Mensch lebt zunächst im „Reich der Natur“, das Stein einem „Reich der Freiheit“ und einem „Reich der Gnade“ entgegensetzt.[15] Das Seelenleben des Menschen im „Reich der Natur“ ist un-frei; es vollzieht sich in Impressionen und Reaktionen, d. h. es wird von außen oder innen durch Reize angeregt, beeindruckt und antwortet darauf. Man kann hier nur von einer passiven Aktivität sprechen. Reagieren heißt unfrei und zerstreut, unruhig und unumfriedet zu sein.

Ähnlich wie das Verhältnis des menschlichen Aktzentrums zum Reich der Natur ist auch das Verhältnis des Zentrums zum Reich der Gnade gekennzeichnet. Vom Reich der Gnade her wird das Stellungnehmen und Reagieren der Person beeinflusst: durch göttliche Gebote und durch religiöse Erfahrungen ist sie von außen bestimmt. Hier wiederum kann man von einer Art aktiver Passivität in Bezug auf das menschliche Handeln sprechen. Das Personzentrum ist im gnadenhaften Zustand, den Stein „Befreitsein“ nennt. Somit empfängt es passiv Impulse von „oben“ aus dem Reich der Gnade, ebenso wie von „unten“ aus dem Reich der Natur. Sowohl auf natürliche wie auf übernatürliche Impressionen reagiert der Personkern des Menschen aktiv, nimmt aktiv Stellung und hat damit einen Eigenstand inne.

Es gibt aber nach Stein nicht nur ein dialektisches Schwanken zwischen den zwei Weisen passiver Aktivität und aktiver Passivität, sondern einen dritten Bereich, das Innerste im Aktzentrum der Person. Dieser Ort der aktiven Aktivität, das Reich der Freiheit, wird allerdings nur als ein Punkt ohne Ausdehnung charakterisiert. Wenn der Mensch sich in die Tiefe seiner eigenen Seele hineinbegibt, an diesen einsamen Ort der Entscheidung, kann er den eigentlichen Ort der Freiheit erfahren. In erster Linie zeigt sich diese Freiheit als Befreitsein von den Fesseln der Natur, also zunächst als Ent-Grenzung, um den Begriff aus der Postmoderne-Diskussion aufzugreifen. Der Mensch erlebt sich, so Stein im Anschluss an Max Scheler, als „weltoffenes“, nicht „weltfixiertes“ Wesen. An diesem Punkt steht als Apriori die Möglichkeit einer absoluten, autonomen Freiheit. Die konkrete Freiheit gegenüber der Welt, im Sinne von Handlungsfreiheit, ist von der apriorischen Freiheit bedingt und könnte theoretisch in eine absolute Loslösung von der Welt münden. Das wiederum entspräche der buddhistischen Konzeption von Freiheit, die bereits angedeutet wurde.

Will der Mensch hingegen sich nicht von dieser Welt lösen, sondern in der Welt gelöst stehen, ergibt sich für ihn die Entscheidungs-Situation: Denn in der Welt muss immer zwischen verschiedenen Möglichkeiten gewählt werden; die Seele schließt sich an eine konkrete Möglichkeit an und gibt dadurch die absolute Freiheit auf. Der Mensch hätte hier alle Möglichkeiten, und damit „bloß“ alle, denn er kann und darf sich für keine konkrete entscheiden, da diese Fixierung ihn vom Punkt der absoluten Potenz hinwegziehen würde.

Versucht man, an diesem Punkt der aktiven Aktivität, der absoluten Freiheit, zu verweilen, dann ist man allerdings je länger je mehr zur absoluten Bewegungslosigkeit und Lähmung verurteilt und damit, wenn man Steins Gedanken weiterdenkt, zur Unfruchtbarkeit. Fruchtbarkeit hingegen meint Konkretion: Aus Ideen entstehen Taten oder auch Bücher, aus Liebe erwachsen Kinder, sowohl leibliche als auch geistige. Es kommt also darauf an, den Punkt der apriorischen, absoluten Freiheit, das Moment der aktiven Aktivität zu nutzen, um empirische, konkrete Freiheit fruchtbar werden zu lassen, um Freiheit ins existentiell Leibliche einzuwurzeln. „Die Person, die sich im Reich der Natur aufrichtet, hat die Möglichkeit, sich gegen das, was von außen auf sie eindringt, abzuschließen. Aber so lange sie dagegen kein anderes Bollwerk hat als ihre Freiheit, kann sie es nur, indem sie sich völlig freimacht, völlig aufzehrt. Erst in einem neuen Reich kann ihre Seele neue Fülle gewinnen und damit erst ihr eigenes Haus werden.“[16] An dieser theoretischen Stelle ist nach Stein die Person gefordert, ihre Freiheit zu realisieren, d.h. viele Möglichkeiten aufzugeben, um überhaupt etwas mit der gegebenen Freiheit anfangen zu können.

Freiheit ermöglicht und erfordert Bindung 

Erst durch einen aktiven Schritt der Realisierung einer Möglichkeit und damit durch das Aufgeben aller anderen Möglichkeiten wird die Lähmung am Punkt der absoluten Freiheit überwunden: Die Person bindet sich, sie öffnet sich einer anderen geistigen Sphäre und gewinnt Neues. Sie entrinnt der Leere, die die eigene Freiheit immer mehr aushöhlen würde, sie gelangt in die umgrenzte Fülle hinein.

In einem Bild lässt sich dieser Zusammenhang folgendermaßen ausdrücken: Der „nur“ Freie – d.h. nicht der „Befreite“ – der nur Freie, der in seiner apriorischen Wahlfreiheit verbleibt, wandert im Kreis an der Peripherie wie um einen wunderschönen Garten herum. Er mag seinen Weg als einen Korridor mit vielen Türen empfinden, durch die er immer wieder einen Blick in den Garten wirft. Vielleicht befürchtet er, dass sich der Garten als enttäuschend, als langweilig oder als bedrohlich erweisen könnte. So bleibt er auf der Flucht und im vermeintlichen Schutz des fruchtlosen Gangs, als der Schauende und ewig Wandernde. Der Befreite dagegen tritt aufgrund seiner Wesensfreiheit ein in den Garten der Bindung und der Fruchtbarkeit. Auf diese Weise verliert er viele Möglichkeiten und somit die Macht der absoluten Wahlfreiheit, die vor aller Entscheidung liegt. Aber er gewinnt durch die Entscheidung und die Bindung: sich selbst und die Fülle, d.h. das Erlebnis des wunderschönen Gartens.[17]
Die drei Ebenen von Freiheit bei Stein lassen sich in einer Zusammenfassung folgendermaßen beschreiben: In der unfreien Zuständlichkeit erfährt sich die Seele als gefesselt an die Welt, an das Reich der Natur. Am Entscheidungspunkt, dem Moment der aktiven Aktivität, weiß sie sich gelöst von, aber noch nicht frei für. Dies ist der Punkt, an dem Buddha steht und von dem er predigt. Doch erst im Zustand des Von-Gott-Berührt-Seins erfährt sich die Seele nach Stein als befreit, als liebend und geliebt zugleich, und damit gebunden an den personalen Gott als ihren Befreier. Gewonnen wird Freiheit und die Fähigkeit zur Neuanbindung. Aus der Ruhe des Befreit-Seins heraus ist eine freie Bewegung auf den anderen, auf die andere Person hin möglich.
In diesem Zustand des Befreitseins ist die menschliche Person auch vom einsamen Punkt der absoluten Freiheit befreit. Sie hat das Apriori realisiert. Wir können also einerseits sehr wohl sagen, dass Freisein Einsamsein bedeutet. Aber andererseits ist das nur am Übergangspunkt der Fall, an dem der Mensch eigentlich nicht verweilen kann, trotz all der postmodernen Versuche, es doch zu tun. Die göttliche Person tritt bei Stein als Befreier der menschlichen Person nach deren Zustimmung auf: Denn die Freiheit des Menschen ist die Grenze für Gottes Macht und Liebe. Gott ist hier gleichzeitig auf eine aktive Weise passiv, freilassend; und auf eine diskrete, zurückhaltende, passive Weise aktiv, nämlich freisetzend. Wenn man Steins Gedanken an dieser Stelle aufgreift und weiterdenkt, könnte man formulieren: Nur der absolut Freie – Gott selbst – oder ein befreiter Mittler[18] kann einen anderen freisetzen. „Gott ist so frei, dass er nur Freie um sich duldet“. (Thomas von Aquin) Gott lässt sich auf eine Beziehung mit dem anderen ein, auf einen Bund, wie mit dem Volk Israel, das heraus aus Ägypten geführt wird, aber nicht bindungslos bleibt. Die Bindung an Gott, genauer an Gottes menschgewordenen Sohn Jesus Christus, bevollmächtigt den Menschen, den anderen Menschen in passiver, entspannter Haltung und Handlung frei zu lassen und damit selbst für andere erträglich zu bleiben. Im Paradox der „Freiheit in Verbindlichkeit“ ist es möglicht, Freiheit nicht einfach negativ als Verlust von Geborgenheit zu verstehen.

Ins Bild übersetzt heißt das: Der Getriebene wird in einen umfriedeten Rahmen, in einen Garten versetzt, die Seele kommt im Geist Gottes zur Ruhe. In der Bindung an den Garten und seine Bewohner wird der Wildwuchs beschnitten, die schwachen eigenen Keime werden aufgespürt. Dieses Eigene, das Selbst des noch Unfreien, das für ihn vielleicht noch verborgen ist, wird nun freigesetzt, befreit. Es gibt keine Befriedung, keine Zufriedenheit über ein Vorankommen, kein Wachstum ohne umfriedende Grenzen, innerhalb derer Wachstum erst beobachtbar wird. Die Unfähigkeit, sich an Neues, zäh Widerstrebendes zu binden, nimmt ohne die Erfahrung von Grenzen eher zu als ab. Wenn sich die Person notgedrungen doch an eine Sache, eine Aufgabe, eine Person oder Gruppe binden soll oder muss, dann fühlt sie sich unfrei oder resigniert, weil sie für diese eine Bindung zu viele andere Möglichkeiten und Tätigkeiten aufgeben müsste. Hier wächst keine Frucht, sondern die Person verbleibt in der Unfruchtbarkeit der vielen Eventualitäten.

Freiheit – Freundschaft – Fruchtbarkeit 

Steins Untersuchung zum Phänomen „Freiheit“ macht auf einleuchtende Weise deutlich, wie der Weg von abstrakter Freiheit zur konkreten Befreiung, von der Möglichkeit zur Wirklichkeit führen kann. Freiheit ist an einem Punkt erlebbar: Damit Freiheit aber nicht leer, unfruchtbar und selbstzerstörerisch wird, braucht die menschliche Person den Schritt von der Möglichkeit in die Wirklichkeit durch die Entscheidung, durch die konkrete Wahl. Erst durch Anbindung wird Freiheit erfahrbar, nicht durch Anklammerung oder Unterwürfigkeit; erst durch Verbindlichkeit, nicht durch Vereinnahmung und Willenlosigkeit, letztlich also durch Bund oder auch verbindliche Freundschaft wird Freiheit dauerhaft erfahrbar als Wesensfreiheit. Dort, wo derartige Entscheidungen zur freien Bindung nicht gefällt werden, leben wir unter der „Herrschaft der Feiglinge“ (Chesterton).[19]
Die Freiheit des anderen zu wollen, gehört zu den schwierigsten Aufgaben für uns Menschen. Jemanden leiden können, heißt letztlich, an dessen Freiheit leiden können; wissen, dass man ohnmächtig ist gegenüber der Freiheit des anderen. Die eigene Ohnmacht bedeutet, dass entweder die Liebe die Macht ist, die verbindet, die zwei Freiheiten zusammenführt und sie zu einer und doch zweien werden lässt; oder dass es zu keiner wirklichen Begegnung kommt, weil sie nur eine Versklavung, Bevormundung, Vergewaltigung des einen oder des anderen wäre. Es gibt lebensweltlich keine totalen oder idealen Freiheiten, jeder von uns lebt in gewissen Abhängigkeitsgraden, bzw. positiv formuliert: in Verbindlichkeiten mit Anderen. Aber: Der innere Freiheitsgrad wie auch der Grad unserer Hingabe an Verbindlichkeiten dürfen wachsen, damit mehr und öfter „frei“ geliebt wird.

Schluss: Gemeinsam eigene Wege gehen 

Für den postmodernen Single können diese religionsphilosophischen Reflexionen im Anschluss an Stein eine Anregung und Ermutigung sein, sich der eigenen Freiheitsgrade bewusst zu werden. Sich bewusst zu werden: Wo Anbindung vielleicht aus unfreien Motiven, aus Re-aktion, nicht aus aktiver Aktivität heraus eingegangen wurde, die aber auch noch verspätet nachgeholt werden kann. Wo beispielsweise Beziehung bisher nicht oder zu wenig gewagt wird, da könnte der Wert der „Freundschaft“ als Form der freien Bindung, wie er bereits von Jesus für seine Jünger vorgedacht war, vielleicht sogar für die Beziehung (und Ehe) zwischen Mann und Frau neugewonnen werden. Wo ursprüngliche Heimat verlassen wurde und vielleicht eine Befreiung zu neuer geistlicher Heimat erfolgreich vollzogen wurde – d.h. wo man die eigene Familie verlassen hat und eine Heimat, die Halt gibt, also in Jesus Christus und seiner Jüngerschaft (Kirche) gefunden hat -, da ist die Freiheit des Ent-Grenzten übergegangen in die Offenheit für neue bereichernde Beziehungen. Auch die Entscheidung für Gott lässt sich aus einer nur-natürlichen Anhänglichkeit heraus noch durch einen bewussten Schritt in eine geistige Freundschaft steigern oder überführen, in der nicht Knechtschaft, sondern Fülle erfahren wird. In der Postmoderne wird das jeweilige Freiheitsverständnis und damit die freilassende und zugleich freisetzende Art und Weise der Beziehungen Gradmesser dafür sein, inwieweit die christliche Botschaft glaub- und vertrauens- und damit wahrheitswürdig ist.

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Dr. phil. Beate Beckmann, geb. 1966 in Hildesheim; Studium der Anglistik und Kath. Theologie in München u. Freiburg i. Br., Studium der Philosophie in Weingarten (a. Bodensee) und Dresden. Wiss. Mitarbeiterin / Assistentin am Lehrstuhl für Religionsphilosophie und vergl. Religionswissenschaft an der TU Dresden seit 1993. Promotion über „Phänomenologie des religiösen Erlebnisses. Religionsphilosophische Überlegungen im Anschluß an Adolf Reinach und Edith Stein“ (2001). Forschungsschwerpunkte:
Phänomenologische Religionsphilosophie (Adolf Reinach, Edith Stein); Mitherausgabe der ESGA (= Edith Stein Gesamtausgabe); Religionsphänomenologie / vergl. Religionswissenschaft (Christentum im Spiegel buddhistischer Philosophie) Wichtigste Publikationen:

Das Erlebnis des religiösen Ereignisses. Religionsphilosophie in „realphänomenologischer“ Ausprägung im Anschluß an Adolf Reinach. In: Seidl, Horst (Hg.): Realismus als philosophisches Problem. (EPIMELEIA – Band 2) Philosophische Texte und Studien Bd. 51. Hildesheim / Zürich / New York: Olms 2000. S. 155-171.

Phänomenologie des religiösen Erlebnisses. Religionsphilosophische Überlegungen im Anschluß an Adolf Reinach und Edith Stein. (Diss.) erscheint voraussichtlich 2002.

Fußnoten

[1] Aufsatz „Natur, Freiheit, Gnade“ (im folgenden kurz NFG). Fälschlicherweise gedruckt unter dem Titel: „Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Voraussetzung“. In: Welt und Person. ESW [= Edith Steins Werke] VI. Freiburg 1962. S. 137-197. Hier: S. 139. Demnächst in ESGA [= Edith Stein Gesamtausgabe] 9, Freiburg 2004.

[2] Gerl, Hanna-Barbara: Freiheit – ein Gegensatz zur Verbindlichkeit? Zum postmodernen Single. S. 269-278. In: Lebendiges Zeugnis. Heft 4 Nov 1993. 48. Jg. Paderborn.

[3] Wilfred, Felix: The Postmodern with Teeth: Opportunity for a Creative Western Theology. S. 321-332. In: Pankoke-Schenk, Monika / Evers, Georg (Hrsg.): Inkulturation und Kontextualität. Theologie im weltweiten Austausch. Festgabe für Ludwig Bertsch SJ zum 65. Geburtstag Frankfurt/Main 1994.

[4]Generation X. Wiesbaden PJ Verlag 1995.

[5] Mall, Ram Adher: Buddhismus – Religion der Postmoderne? Hildesheim 1990.

[6] Buddhismus wird hier im Sinne der Lehren des historischen Buddha gefasst. Spätere Entwicklungen des Mahayana-Buddhismus oder Lamaismus werden hier nicht berücksichtigt, da sie sich in diesen Grundgedanken einig sind.

[7] Vgl. dazu auch Wulf, Claudia Mariéle: Freiheit und Grenze bei Edith Stein. Vallendar 2002.

[8] Interview zur Seligsprechung mit Philomene Steiger. Archiv Edith-Stein- Karmel, Tübingen. In: Herbstrith, Waltraud: Edith Stein. Jüdin und Christin. München 1995. S. 53ff.

[9] Beiträge zur philosophischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften. Psychische Kausalität. 2. Aufl. Tübingen 1970 (im folgenden „PK“) S. 76. Demnächst ESGA 7. Freiburg 2005. Vgl. auch Stein, Edith: Einführung in die Philosophie. ESW XIII Freiburg 1991. S. 194f. Demnächst ESGA 6. Freiburg 2004.

[10] PK, S. 43f.

[11] „Gemüt“ ist ein Synonym für „Herz“: Stein unterscheidet die verschiedenen Seelenkräfte: „im Verstand ein äußeres Entgegennehmen der Welt, im Gemüt die innere Auseinandersetzung mit der Welt, im Willen das Hinausgreifen aus sich in die äußere Welt.“ Stein, Edith: Potenz und Akt. ESW XIII (im folgenden „PA“) Freiburg 1998, S. 131. Demnächst ESGA 10. Freiburg 2005.

[12] Vgl. PK, S. 65.

[13]  PA, S. 142f.

[14] Stein, Edith: Kreuzeswissenschaft. Freiburg (3) 1983 (Orig. 1942). ESW I. S. 142f. Demnächst ESGA 18, Freiburg 2003.

[15] Vgl. NFG, Anm. 1.

[16] NFG, S. 143 (Herv. d. Verf.).

[17] „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ (Mt 10,39)

[18] NFG, S. 160ff. Kapitel „Mittlerschaft“.

[19] „Aber gewiß wird früher oder später im Hafen die turmhohe Flamme aufsteigen, die verkündet, daß die Herrschaft der Feiglinge vorüber ist und ein Mann seine Schiffe verbrennt.“ Chesterton, Gilbert Keith: Verteidigung übereilter Gelübde. In: Verteidigung des Nonsens. Leipzig / Weimar 1991, S. 31.

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