Sozialwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften

Die abendländisch-christlichen Werte als Erfolgsfaktor

Hans-Joachim Hahn · 
01.01.2009

1. Werte als Basis für Gemeinschaft und Erfolg 

Werte prägen unser Leben und unsere Arbeit. Werte spiegeln unsere Weltanschauung wider. Erfolgreiches Zusammenleben und Wirtschaften ist ohne sie nicht möglich. Werte lernen wir nicht aus dem Philosophiebuch, wir übernehmen sie in der Regel von Vorbildern. Sie sind Ausdruck des Charakters und zeigen sich im Umgang von Menschen miteinander. Werte sind der Verhaltenskonsens einer Kultur, einer Gemeinschaft von Menschen mit gemeinsamen Wurzeln, Interessen und Zielen. Meistens entstammen sie religiösen Traditionen.

Werte haben einen Preis 

Die Geschichte kennt viele Beispiele des persönlichen Einsatzes für Werte. In der berühmten Schlacht an den Thermopylen starb der Spartanerkönig Leonidas mit 300 Elitesoldaten im Kampf gegen das übermächtige Heer des Persischen Tyrannen Xerxes für die Werte Griechenlands – vor allem Freiheit und Ehre.

Mahatma Gandhi besiegte in einem entschlossenen, gewaltlosen Kampf die Kolonialbürokratie des englischen Weltreiches. Damit erkämpfte er seinen indischen Landsleuten den Wert der Menschenwürde – der Gleichberechtigung mit der weißen Rasse. Was hatte Gandhi inspiriert? Bei seinem Studium in England lernte er das Neue Testament und die christlichen Werte kennen. Als Anwalt kehrte er später nach Indien zurück. Enttäuscht stellte er fest, dass die Kolonialregierung weit davon entfernt war, diese Werte selbst zu praktizieren. Da reifte in ihm der Entschluss, sie mit ihren eigenen geistigen „Waffen“ zu besiegen. Sein Vorgehen wurde zum Lehrbeispiel für friedliche Revolutionen.

Werte sind nicht austauschbar 

Jede Kultur prägt ihre eigenen Werte. Die Erfolgsgeschichte der westlichen Wirtschaft und Demokratie hat ihre wesentlichen Wurzeln in den christlichen Klöstern des Mittelalters. In der Unhabhängigkeit von der institutionellen Kirche entwickelten sie überlebensfähige Zukunftsmodelle. Sie adelten Arbeit als gesellschaftlichen Wert (Benedikt von Nursia: „Bete und arbeite“). Sie schufen die Grundlage für Universitäten und freie Bildungsstätten. Sie pflegten Kultur, Kunst und Spiritualität. Damit legten sie das Fundament für die Freiheit der Forschung und Lehre, sowie für die Trennung von Staat und Kirche. Die einzigartige Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft im westlichen Nachkriegs-Deutschland ist untrennbar verbunden mit der Verwurzelung ihrer Gründerväter in den Werten des Neuen Testamentes: Der unternehmerischen Freiheit und Initiative des Einzelnen sowie der sozialen Verantwortung gegenüber den Schwächeren.

Einige unserer Erfolgswerte konkret 

Arbeit – Fleiß und Gewissenhaftigkeit. Im alten Griechenland und China sowie auch vielen anderen Kulturen war (und ist z. T. noch heute!) die Arbeit mit den Händen – vor allem bei Männern – verpönt. Sie war Sache von Sklaven, Frauen und unteren Schichten. Die Verbindung von Spiritualität und Arbeit in den christlichen Klöstern machte Arbeit zum Gottesdienst und gab ihr damit einen völlig neuen Wert. Die Sorgfalt, der Fleiß und Erfindergeist, der zu dem großen Vorsprung des westlichen Ingenieurwesens geführt hat, geht überwiegend auf diese Wurzeln zurück. Warum ist Nepal nicht so wohlhabend wie die Schweiz – obwohl beide ähnlich schwierige geographische und geologische Bedingungen haben? Warum ist Madagaskar nicht reicher als England, sondern muss noch von der Welthungerhilfe unterstützt werden? Trotz günstigeren Klimas, mehr Bodenschätzen und gleicher Gene sind die Menschen dort nicht in der Lage, sich selbst ausreichend zu versorgen. Könnte es an den Werten und der Religion hinter den Werten liegen?

Vertrauen und Integrität. Nicht nur für erfolgreiches Wirtschaften, sondern auch jegliche andere soziale Form des Zusammenlebens sind V ertrauen und Integrität (Wahrhaftigkeit) Voraussetzung. Wie können Partnerschaften, Verträge und Kooperationen funktionieren, wenn auf ein Wort kein Verlass ist? Aufwändige Kontrollmechanismen müssen eingesetzt werden, wenn Wahrhaftigkeit und Zuverlässigkeit fehlen. Und die Kosten dafür mindern das verfügbare Kapital und die Kräfte für Innovation und Investitionen. Unser Steuersystem und die ständig wachsende Staatsbürokratie sind dafür traurige Beispiele. Dennoch ist die Entrüstung in Öffentlichkeit und Medien über Steuerhinterziehungen und politischen Betrug in unserem Land noch ein Anzeichen dafür, dass unsere Kultur von einem Gottesbild geprägt wurde, das Treue und Wahrhaftigkeit als Wesensmerkmal hat.

Mut. Winston Churchill bezeichnete ihn als Voraussetzung aller anderen Tugenden. Er ist die Grundlage aller Innovation, aller Wagnisse, etwas Neues zu probieren. Vor allem aber ist er die Voraussetzung einer „konstruktiven Fehlerkultur“, die verstärkt in unserer Wirtschaft als „Erfolgsfaktor“ diskutiert wird. Fehlerkultur bedeutet nicht, dass Lässigkeit in der Arbeit akzeptiert wird. Doch es dürfen Fehler gemacht werden, wenn daraus gelernt wird. Das Konzept von „Fehler – Vergebung – Neubeginn“ ist für uns so selbstverständlich, dass wir kaum über seine Herkunft nachdenken. Mir wurde das bewusst, als ich bei einer Zugfahrt mit einer chinesischen Studentin ins Gespräch kam, die vergleichende Kulturwissenschaft studierte. Nach wenigen Minuten kam sie auf dieses Thema: „Also, dass die deutschen Kollegen einfach einen Fehler eingestehen können und dafür Vergebung erhalten, so etwas gibt es bei uns nicht!“ brach es förmlich aus ihr hervor. „Das kommt daher, dass vor 2000 Jahren einer in der Nähe von Jerusalem an einem Kreuz für die Sünden der Menschheit gestorben ist und dort sogar seinen Feinden vergeben hat“, erklärte ich ihr.

In den asiatischen Kulturen muss vor allem das Gesicht gewahrt werden. Wahrheit und Recht gehört in der konfuzianischen Tradition Chinas dem Höhergestellten. Im krassen Gegensatz dazu finden wir in der Bibel eine schonungslose Darstellung gerade der Fehler und Peinlichkeiten der Gründerpersonen und Helden – von Abrahams Verrat an seiner Ehefrau über Davids Ehebruch und Mord bis zum Verrat des Gemeindegründers Petrus an Jesus, seinem Herrn. Diese Art der Geschichtsschreibung und des Umgangs mit Fehlern und Versagen ist nur möglich durch einen Gott, der Sünden vergibt und die Chance des Neuanfangs schenkt. Es erfordert jedoch Mut, sich den eigenen Schattenseiten zu stellen.

Werte aktuell betrachtet 

Gegenwärtig hat es in unserem Land den Anschein, als ob wir diese Grundlagen unseres eigenen Erfolges – ob mutwillig oder aus Ignoranz – missachten und zerstören. Manche meinen, sie können das soziale Netz rücksichtslos ausbeuten. Andere versuchen, den Nächsten hemmungslos zu betrügen. Wieder andere vermeiden die Steuerzahlung durch illegale Geldanlagen in Steueroasen – um nur einige Beispiele zu nennen. Sie alle schädigen die Gemeinschaft durch Missachtung der Werte, die sie stark gemacht haben.

Die abendländisch-christlichen Werte in China 

Dieses Verhalten wirkt geradezu grotesk und makaber, wenn wir über unseren Tellerrand nach Osten schauen: Chinesische Führungskräfte und Intellektuelle entdecken bei ihrer Suche nach den Ursachen der westlichen Überlegenheit genau die westlichen Erfolgswerte. Und immer mehr von ihnen wenden sich eben den Quellen zu, von denen viele von uns sich abwenden.

So wurde der führende Nationalökonom und Regierungsberater Prof. Zhao Xiao zum Christen, nachdem er in den USA die starke Präsenz und den Einfluss der Kirchen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft entdeckte. Seine Arbeit: „Kapitalismus ohne und mit Kirche“ wurde zur meistgelesenen Wirtschaftsstudie in China. „Warum arbeiten diese Menschen so hart, um Geld zu verdienen und warum lügen und betrügen sie so wenig, wenn sie damit noch mehr Geld verdienen könnten?“ war eine seiner Hauptfragen an das westliche kapitalistische System. Die Antwort fand er in ihren Werten: „Wenn Menschen zur Ehre Gottes leben und arbeiten, dann ist durch Korruption und Lügen verdientes Geld nicht für diesen Zweck geeignet.“ Auf diesem Weg fand Zhao nicht nur ein überlegenes Wirtschaftssystem, sondern auch einen persönlichen Gott. Das konnte ich beim gemeinsamen Gebet am Ende unseres Gespräches deutlich spüren. Auch in Interviews bekennt er sich offen dazu. (Cicero V/ 2007)

Die Korruption ist ein großer wirtschaftlicher Engpass Chinas. Es wird noch ein weiter Weg sein, bis die Werte der Ehrlichkeit und Integrität stärker akzeptiert werden. Aber die Zahl der ernsthaften Christen wächst ständig: sogar von Regierungskreisen wird sie inzwischen auf über 100 Millionen beziffert. Und sie bringen einen neuen Geist in Chinas Wirtschaft und Gesellschaft…

Wie werden wir in Deutschland mit diesem Erbe umgehen? Werden wir es verspielen oder neu bewerten und einnehmen? Diese Bewertung wird über unsere Zukunft entscheiden. 

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Hans-Joachim Hahn ist Unternehmer, Berater und Referent; Jahrgang 1950
Von 1969-74 studierte er Anglistik und Sportwissenschaft für das Lehramt an Gymnasien in Gießen; daneben war er stark in der Jugendarbeit engagiert. 

Nach Studienabschluß folgte er einer Berufung in die Arbeit von Campus für Christus, eine gemeinnützige Beratungsorganisation für Lebens- und Glaubensfragen unter Studenten. Dort hat er seitdem verschiedene Verantwortungen wahrgenommen u.a. die Direktion in Deutschland von 1984-1989 und einige Netzwerke aufgebaut.
Seit 1973 vielfältige Seminar- und Lehrtätigkeit.
1996 initiierte er das Professorenforum; zu diesem Netzwerk gehören inzwischen über 800 Professoren. 

Seit 1995 privates Studium und Engagement in der Wirtschaft. Seit 2002 Lehrauftrag and der Landeshotelfachschule, Meran: „Spirituelle Intelligenz als Erfolgsfaktor in der Menschen- und Unternehmensführung“
Seit 1982 verheiratet und Vater zweier Adoptivkinder.
(Neben der Familie ist sein Hobby Ausdauertraining; etwa einmal jährlich gönnt er sich einen kleinen Triathlon.)
Sein Buch „Umkehr in Babylon“ (1991) schrieb er, um eine tragfähige Zukunftsperspektive aufzuzeigen: In Romanform entfaltet es die Hoffnungskraft, die in den Bildern der „Offenbarung des Johannes“ steckt.
Als Mitherausgeber ist er an bisher fünf Bänden des Professorenforums beteiligt: 

Pluralismus und Ethos der Wissenschaft (1999)
Hochschulbildung im Aus? (1999)
Die Programmierung des kindlichen und jugendlichen Gehirns (2002)
Erreicht oder reicht uns die Demokratie? (2004) – Familie – Zelle der Gesellschaft? (2005) 

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